Letzte Reise

Wenn der Tod
zu Kindern kommt

Kaum ein Thema bewegt die Gesellschaft mehr als sterbende Kinder

Von Fabian Biasio (Fotos, Videos und Text)

Wie Kinder sterben wollen

«Was ist ein guter Tod?» Luzerner Religionsschülerinnen und -schüler geben Auskunft.

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Jeder Tag ein Geschenk

Uday kam als Adoptivkind aus Indien in die Schweiz. Nun ist er todkrank. 

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Rambazamba im Kinderhospiz

Ein Sommertag im Kinderhospiz St. Nikolaus in Bad Grönenbach (D).

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Abschied ganz am Anfang

Die Leiterin der Fachstelle «kindsverlust.ch» und eine betroffene Mutter erzählen.

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Wie Kinder sterben wollen

Kinder einer Religionsklasse aus Luzern geben Antworten auf eine grosse Lebensfrage: «Was ist ein guter Tod?» Ihre Wunschvorstellungen sind jenen Erwachsener verblüffend ähnlich. 

Adnan

«Ich hoffe, dass ich eines Tages so sterbe, wie ich es mir wünsche.»

Julinn

«Für mich ist ein guter Tod, wenn man einschläft und keine Schmerzen hat.»

Tabea

«Für mich ist ein guter Tod, wenn man stirbt, weil man alt ist.»

Tamara

«Einfach in dem Alter sterben, in dem man nicht mehr leben mag.»

Juli

«Wenn es Zeit ist, dass man alle Leute verlässt, die auf der Erde sind.»

Ali

«Wenn ich mich von meiner Familie verabschieden kann.»

Aagash

«Wenn man glücklich ist, wenn man stirbt, und wenn man lacht»

Emilia

«Wenn die Familie am Bett steht und dabei sein kann.»

«Ein guter Tod ist für mich, wenn man glücklich ist, wenn man stirbt, und wenn man lacht.»

Aagash, 14 Jahre

Rambazamba im Kinderhospiz

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der Schweiz noch kein Kinderhospiz. Schweizer Familien mit todkranken Kindern müssen nach Deutschland, wenn sie Entlastung und Unterstützung benötigen. Im Kinderhospiz St. Nikolaus in Bad Grönenbach kann die ganze Familie eine stressfreie Auszeit verbringen. Die gesunden Kinder treten aus dem Schatten ihres kranken Geschwisters, und gemeinsam tobt die Bande durchs Haus.

Beim ersten Aufenthalt im Hospiz gestaltet jede Familie eine persönliche Fahne für ihr krankes Kind. Sie erzählt die Lebensgeschichte des kleinen Gastes. Immer, wenn das Kind im Hospiz ist, hängt seine Fahne im Flur. 

Meist fährt die Familie auch dann ins Hospiz, wenn die letzte Lebenszeit ihres Kindes angebrochen ist. Dann gilt es auszuhalten. In einem kleinen Andachtsraum steht ein kleiner Katafalk mit bunten Schmetterlingen auf den Kissenbezügen. Ist ein Kind gestorben, wird es noch einige Tage hier aufgebahrt. Alle nehmen Abschied. 

Die Fahne des Kindes wird anschliessend im Trauergarten hinter dem Haus aufgehängt. Oft kehren die Eltern auch Jahre nach dem Tod ihres Kindes immer wieder an diesen Ort zurück. Die Fahne bleicht allmählich aus und zeugt so vom Fortgang der Zeit.

Webseite des Kinderhospiz St. Nikolaus

Ein Spender stiftete das Trampolin.  

Der Trauergarten hinter dem Kinderhospiz St. Nikolaus.

«Wir sind ein Haus voller Leben.»

Anita Grimm, Leiterin Kinderhospiz St. Nikolaus


René spült die Magensonde seines Sohnes: Udays Pflege ist eine Vollzeitbeschäftigung.

Jeder Tag ein Geschenk

René und seine Frau Sybille adoptierten ein Waisenkind aus Indien. Heute ist Uday schwer behindert. Eine Gehirnentzündung raubt dem 13-jährigen Jungen sukzessive seine geistigen Fähigkeiten. Die Krankheit führt zum Wachkoma – und schliesslich zum Tod: innerhalb weniger Monate oder Jahre. Die furchtbare Diagnose liegt nun über sieben Jahre zurück. Jeder neue Tag ist für die Familie aus dem Kanton Zürich sowohl eine Herausforderung als auch ein Geschenk. 

Eine Insel zum Innehalten und Kräftesammeln ist für die Familie das Kinderhospiz St. Nikolaus im deutschen Bad Grönenbach. Seit Jahren verbringt Uday mit seinen Eltern und seinem gesunden Bruder die Sommerferien in Süddeutschland. Dort lernten die Eltern zum Beispiel, dass sie auch einmal in einem anderen Zimmer als Uday schlafen können. Oder dass sie ihm anstelle der medizinischen Spezialnahrung genauso gut das Familienznacht in die Magensonde geben können. «Essen», sagt Vater René, «ist ein sozialer Akt, in den wir Uday gerne mit einbeziehen möchten.» So püriert er zum Frühstück auch die Honigbrote, die Uday früher so geliebt hat.

«Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem uns Uday nicht mehr erkennt.»

René B.


Ein kleiner Schmetterling als Gruss vom verstorbenen Kind.

Abschied ganz am Anfang

Wenn das eigene Kind stirbt, steht für die Eltern die Erde still. Wie finden Mütter und Väter zurück ins Leben? Anna Margareta Neff, Leiterin der Fachstelle kindsverlust.ch, und Fabienne Stalder, eine betroffene Mutter, erzählen.

«Es war sehr schön, dass sie nach der Geburt noch gelebt hat.»

Fabienne Stalder

Anna Margareta Neff Seitz

Die Hebamme leitet «kindsverlust.ch, die Fachstelle Kindsverlust während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebenszeit» in Bern. Sie berät Eltern, die ihre Kinder verlieren, wenn diese noch ganz am Anfang des Lebens stehen – an einer Schnittstelle zwischen Leben und Tod.

Anna Margareta Neff ermutigt die Eltern, dem kurzen Leben ihres Kindes Inhalt und Geschichte zu geben. So bestärkt sie eine Mutter darin, zu Hause mit ihrem totgeborenen Sohn zu tanzen – wie sie es während der Schwangerschaft schon immer getan hatte. So entstehen kleine Biografien – Zeugen einer gemeinsamen Zeit, auch wenn sie nur wenige Tage oder Stunden umfasst. 

Webseite der Fachstelle Kindsverlust

Fabienne Stalder

Bis zur Hälfte der Schwangerschaft verschwendete Fabienne Stalder keinen Gedanken daran, dass mit ihrem Kind etwas nicht in Ordnung sein könnte. Doch dann erfuhr sie, dass ihre ungeborene Tochter einen schweren Herzfehler hatte. Aimée starb kurz nach der Geburt in den Armen ihrer Mutter.

Die Fachstelle kindsverlust.ch unterstützte die werdenden Eltern bereits in der Zeit vor der Geburt. Eine Hebamme begleitete den ganzen Prozess der Geburtsvorbereitung – und des Abschieds. So schaffte es Fabienne Stalder zum Beispiel nicht, Aimée ins Krematorium zu begleiten. Die Hebamme übernahm diesen Gang. «Noch heute bin ich ihr dankbar dafür, dass Aimée nicht allein mit dem Bestatter dorthin musste.»