Letzte Reise

«Ich glaube nicht an einen Geist „Marion Schafroth“, der weiter existiert.»

Interview mit Dr. Marion Schafroth, Vorstandsmitglied Exit

Im Notfall die Reissleine ziehen? Das Bundesamt für Statistik (BFS) bestätigt den Eindruck: Begleitete Suizide nehmen zu und erreichten im Jahr 2015 einen Höhepunkt. Doch ist Exit auch sozialverträglich – oder bleiben traumatisierte Angehörige zurück? Was machen Leute mit der Diagnose Demenz, wenn sie sich darauf vorbereiten wollen, zu gehen, wenn nichts mehr geht? Ein Interview mit Exit-Vorstandsmitglied, der Anästhesistin Dr. Marion Schafroth, gibt Antworten.

Video-Transkript

«Es ist natürlich ein berechtigtes Bedenken der Gesellschaft oder auch von Gegnern der Freitodbegleitung, dass man Angst hat, es könnte ein Druck entstehen. Eben, man wolle kranke Leute, die keinen Beitrag... die nur noch kosten: man wolle diese „entsorgen“.

Dieses Bedenken muss man ernst nehmen, man muss es auch ausschliessen. Ich kann einfach aus der jetzigen Praxis sagen, bis jetzt ist das nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Leute, die sich an uns wenden, die mit uns sterben möchten, die müssen meistens in ihrem Umfeld, in ihrer Familie dafür kämpfen, dass man ihren Wunsch nach einer Freitodbegleitung respektiert und sie nicht davor zurückhält.

Es ist solange sozialverträglich, wie es eben wohlüberlegt und somit auch abgesprochen mit dem Umfeld stattfindet. Das ist natürlich der Idealzustand, der vielleicht nicht immer stattfinden kann. Es gibt zerstrittene Familien, das ist klar. Man kann solche Dispute nicht immer vorher regeln. Aber natürlich, je besser es vorbereitet und abgesprochen ist, umso sozialverträglicher ist es. Sozialverträglich ist es auch dann, wenn Exit als Organisation darauf achtet, dass selbstverständlich das Ganze in einem gesetzlichen und geordneten Rahmen abläuft. Also wenn gewisse Vorsichtsmassnahmen – Sicherheitsmassnahmen eingehalten werden.

Wir ziehen die Grenze immer dort, wo es eben nicht wohldurchdacht und wohlüberlegt im Sinne von einem Bilanzsuizid ist, sondern dann, wenn irgend ein krisenhaftes Element mit dabei ist. Eine nicht überlegte Stress- oder Krisenreaktion. Dann ist eine strikte Grenze zu ziehen.

Wir dürfen ja nur begleiten, falls Urteilsfähigkeit besteht. Das heisst: Falls eine Demenz voll ausgeprägt vorhanden ist und jemand nicht mehr urteilsfähig ist, wird Ihnen keine Sterbehilfeorganisation das Mittel bringen und Sie dann umbringen. Das wäre ja „Tötung auf Verlangen“ oder „aktive Tötung“ die man macht und das ist verboten. Deshalb gibt es auch in Realität ganz, ganz wenige Leute, die sich zum Gang zu Exit wirklich dann entscheiden, wenn sie diese Demenz haben oder eine beginnende Demenz haben. So wie es ist, und das ist ein Fakt: wer wegen einer beginnenden Demenz oder wegen einer Demenz sterben möchte, muss in einem Stadium gehen, in dem er noch Urteilsfähig ist, also sehr wohl überlegt in einem Zustand, in dem das Leben eben noch lebenswert ist.

Es gibt auch Demenzverläufe, bei denen die Leute zwar dement werden, aber noch eine relativ gute Lebensqualität haben. Dieser individuelle Entscheid, ob man sich dann frühzeitig zu einem assistierten Suizid entscheiden will, solange man noch urteilsfähig ist – bei einer an sich noch guten Lebensqualität – das ist ein sehr harter, ein schwerer Entscheid. Und in der Realität sehe ich, gibt es sehr wenige Leute, die bereit sind, diesen Schritt wirklich zu tun. Es gibt sie, und dann ist es immer sehr, sehr wohl überlegt und auch abgesprochen mit dem Umfeld, was ich bis jetzt erlebt habe.

Ich stelle mir nicht vor, dass ich eine Freitodbegleitung so oder so beanspruchen werde. Ich hoffe eigentlich, dass ich eines natürlichen Todes sterben kann. Dass ich das bewusst – mehr oder weniger bewusst – auf mich zukommen sehen kann. Ich werde mir aber vorbehalten, wenn ich zu sehr leide, wenn es mir zu sehr weh tut, wenn ich finde, jetzt macht es null Sinn, dass ich dann diesen Prozess abkürzen werde mit einer Freitodbegleitung, wo ich aktiv mein Leben selber beende.

Im Moment des Todes hört der Körper in der Form, wie wir ihn kennen, oder eine Person in der Form, wie wir sie kennen, auf zu existieren. Es ist ja ein Verband von Zellen, ein Verband von Organen, die bisher auf wundersame Art koordiniert funktioniert hat. Und jetzt – meistens aufgrund eines Kreislaufstillstandes – funktioniert dieses Zusammenspiel nicht mehr und dieses integrierte Dasein des Körpers und Menschen hört auf. Es ist schwarz, eine „Blackbox“.

Nach meiner Vorstellung, die ganz persönlich ist, geht diese Reise nirgendwo hin. Meine Existenz als Marion Schafroth wird dann aufhören, wann ich sterbe. Körperlich wird natürlich die Substanz, also die Moleküle und Atome, die werden quasi „recycled“, in irgend einer Form weiter existieren, aber die Marion Schafroth, die gibt es nicht mehr. Ich glaube nicht an einen Geist „Marion Schafroth“, der weiter existiert. Ja – ich finde das irgendwie natürlich, etwas beginnt, hat eine schöne Existenz, also ich finde es wunderbar, gibt es ein Leben, gibt es einen funktionierenden Körper, gibt es Menschen auf der Welt, kann man überhaupt ein Leben leben, das ist wunderschön. Und wenn das nachher fertig ist, das ist in Ordnung.»